König Fußball erhebt viele Ansprüche. Doch einen nicht: gerecht zu sein. Und Majestät ist nicht einmal allzu traurig ob dieses Mankos. Sondern zwinkert nur schelmisch mit den Augen, so er darauf angesprochen wird. Denn der King weiß ganz genau: Gerechtigkeit wäre das letzte, was er in seinem Reich benötigte. Schließlich lebt er vom Todfeind der Gerechtigkeit – der Ungerechtigkeit. Sie bildet die Basis der Spannung. Ginge alles gerecht zu im Kick-Land, herrschte gähnende Langeweile. Denn das Spiel lebt auch von der Wut und Verzweiflung, von der Verbitterung und der Gnadenlosigkeit des Schicksals.
Eines der ungerechtesten Spiele der bisherigen Bundesliga-Saison wurde an diesem Samstag in der Münchner Allianz Arena gegeben. Ist es etwa gerecht, wenn der FC Bayern München 42 Minuten lang mit etwa 420 % Ballbesitz die Partie dominiert – während hingegen der FC Augsburg nur ein einziges Mal nach vorne kommt und damit in der 43. Minute das 1:0 erzielt? Nein, derlei ist zum Haare aus raufen und man kann sich vorstellen, wie Arjen Robben und Pep Guardiola im Laufe des Fußball-Lebens zu ihren pflegeleichten Frisuren gelangten.
„Ding, Dang, Dong“ wird präsentiert von:
classy10.com
simply the best premium spots
Wie dieser zum Himmel schreienden Ungerechtigkeit begegnen? Einfach noch lauter zum Himmel schreien – vielleicht lässt man sich ja da oben etwas einfallen, um diese Ungerechtigkeit zur Hölle fahren zu lassen! Und man ließ. Der Fußballgott sorgte dafür, dass die den Bayern erfahrene Ungerechtigkeit gekontert wurde – mit einer noch größeren Ungerechtigkeit: mit einem im Internet sofort als „Witz-Elfmeter“ zirkulierenden Strafstoß (Zusammenprall Feulner/Costa in der 90. Minute), der keiner war. Und welcher den Münchnern – die zwischendurch gerechterweise noch den 1:1-Ausgleich geschafft hatten – einen 2:1-Sieg im wahrsten Sinne des Wortes bescherte.
Eine Ungerechtigkeit hob die andere auf – alles gut also? „Es ist besser, dass Ungerechtigkeiten geschehen, als dass sie auf eine ungerechte Art gehoben werden“, widerspricht da Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe. Eine These, der Augsburgs Trainer Markus Weinzierl („Wenn ich es knallhart sagen müsste, sind wir beschissen worden“, so er zu Sport1) nur zu stimmen wird. „Markus, was geht in Deinem Inneren vor?“, fragte ihn ein anderer Markus (Hörwick, Pressesprecher des FC Bayern). „Das sage ich besser nicht. Denn wenn ich mein Innerstes aus schütte, werde auch noch ich persönlich bestraft, nach dem jetzt schon die Mannschaft so bestraft worden ist.“ Brav. Und was hat er dem Schiedsrichter des Matches, Knut Kircher aus Rottenburg (der angesichts der Fernseh-Bilder erkannte „Ich muss sagen, da lag der Assistent falsch, wir hätten nicht pfeifen dürfen, es war ein ganz normales Auflaufen, Sorry, tut uns leid“) in der Unparteiischen-Kabine ins Gesicht gegeigt? Weinzierl: „Er hat selbst eingesehen, dass es ein Fehler war. Aus meiner Sicht jedenfalls ist einen solchen Elfmeter zu geben einfach bodenlos. Es war eine katastrophale Entscheidung.“ In die Wege geleitet von Linienrichter Robert Kempter aus Stockach. Augsburgs Kapitän Paul Verhaegh: „Ich weiß nicht, was der Linienrichter da im Kopf hat.“ Vielleicht den Sand von Lothar Matthäus.
In der Augsburger Kabine hingegen hatte man garantiert Jean Paul im Kopf: „Die Wunden, die die Maschinen des Schicksals in uns schneiden“, so der deutsche Dichter, „fallen bald zu; aber eine, die uns das rostige, stumpfe Marterinstrument eines ungerechten Menschen reißet, fängt zu eitern an und schließt sich spät.“ Man wird das Zitat in Holz brennen und es dem Linienrichter schicken. Entweder. Oder aber auf Bertolt Brecht hören, den größten Sohn Augsburgs, ehedem begnadeter Linksaußen: „Auch der Haß gegen Ungerechtigkeit verzerrt die Züge“, erkannte der einst.
Und Guardiola, der in Münchner Literaturhäusern Gedichte katalanischer Poeten vor liest, in denen es vermutlich nur so wimmelt von Ungerechtigkeiten – was sagt Pep dazu: „Der Linienrichter hat entschieden“. Und sieht so unschuldig drein wie ein katalanisches Lamm im Anblick spanischer Schlächter. Doch wäre es sicher ungerecht gegenüber dem Plot, mit Guardiola die Geschichte enden zu lassen. Diese Ehre sei Markus Weinzierl zuteil: „Im Fußball gibt es Ungerechtigkeiten“, beendete er die Pressekonferenz, „wie im Leben auch“.
Jupp Suttner
DING (super): Bertolt Brecht
DANG (auch nicht schlecht) Jean Paul
DOOOOOONG (beruhigend): Johann Wolfgang von Goethe