Elf Stationen zu einem wahren Team

Die guten Fußball-Geister von Spiez.

Spiez zeigt, wie eine Fußball-Mannschaft mit besonderem Team-Geist entsteht

 Text/Fotos: Jörg Berghoff

 Das „Wunder von Bern“, als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft völlig überraschend Ungarn im Finale der WM 1954 schlug, war zweifelsfrei ein historisches Ereignis, das über den Sport hinausreichte. Es gleich zur Geburtsstunde einer neuen Nation hochzustilisieren, darf in Frage gestellt werden. Sicher hat es in weiten Teilen der Bevölkerung ein neues Selbstbewusstsein entstehen lassen, aber es gab trotzdem noch genug gesellschaftliche Aufgaben in der jungen Republik, die nicht mit einem Fußballspiel gelöst wurden. Lassen wir also die Mystifizierung einmal weg und wenden uns dem Kern zu, der noch heute Gültigkeit hat: Wer es versteht, aus Einzelkönnern ein wahres Team zu bilden, das Einzelinteressen nicht vor den gemeinsamen Erfolg stellt, kann scheinbar Unmögliches erreichen. Das kann man an der diesjährigen Fußball-Europameisterschaft erneut beobachten: der Teamgeist versetzt Berge. Eindrucksvoll von der italienischen Mannschaft demonstriert. Fehlt er, geht es frühzeitig nach Hause.

Im charmanten Spiez am schönen Thunersee logierte damals das Herberger-Team im Hotel Belvédère, das noch heute mit seiner Lage, seiner Ausstattung und seinem ausgezeichneten Service zu den besten Adressen in der Schweiz gehört. Auch das Andenken an die deutsche Mannschaft wird hier in Ehren gehalten und Spiez Tourismus hat einen „SmarTrail Das Wunder von Bern“ initiiert, der die Herzen aller Fußballfans höher schlagen lässt. Der digitalisierte, elektronische, interaktive und autodidaktische Themenweg „Das Wunder von Bern und der Geist von Spiez“ basiert auf einer schweizweit neuartigen GPS-Lösung. Der Start erfolgt per QR-Code Scan. mit­hilfe des Smartphones wird man an virtuelle Positionen geführt und dort angekommen, erscheinen im Internetbrowser auf dem Handy Inhalte wie Texte, Bilder, Audio-, Video-Sequenzen und Quizfra­gen. Zum Entdeckungsvergnügen braucht man einzig ein internetfähiges Smartphone mit mindestens 50 %-Akkuladung. Info-Tafeln und Skulpturen machen den Themenweg auch zum visuellen Vergnügen. Wir folgen dem Weg und seinen elf Stationen:

Eine Stele im Garten des Hotel Belvedere erinnert an das Wunder von Bern.

Station 1: Die Hotelauswahl  

Als feststeht, dass die deutsche Mannschaft an der Weltmeisterschaft teilnimmt, macht sich Trainer Sepp Herberger auf die Suche nach einem geeigneten Quartier. Für die Lösung der Unterkunftsfrage hat er einen glänzenden Helfer: Albert Sing, ein ehemaliger Spieler der deutschen Nationalmannschaft und damaliger Trainer der Berner Young Boys. Ihm teilt Herberger seine Wünsche mit. „Wir suchen ein Hotel in ruhiger Lage. 25-30 Betten entsprächen der Kopfzahl unserer Expedition. Gute bürgerliche Küche. Wichtig ist uns auch, dass wird zentral liegen, um schnell und bequem an die Spielorte zu kommen.“ Albert Sing weiß sofort, wo er fündig wird. Er kennt den Direktor des Hotel Belvédères in Spiez persönlich und überredet ihn einen Teil des Hotels für die deutsche Mannschaft zu reservieren. Als Herberger für einen Augenschein in die Schweiz kommt meint er: „Rundblick und Rundgang waren geradezu faszinierend. Albert Sing hatte nicht zu viel versprochen. Wir hatten unser Quartier.“ Als im Jahr darauf die Nationalmannschaft die Unterkunft bezieht, sind auch die Spieler begeistert: Fritz Walter schreibt: „Ich glaube nicht, dass irgendeine Nationalmannschaft ein landschaftlich schöner gelegenes Quartier hatte. Besser und schöner hätten wir es einfach nicht treffen können.“ Die deutschen Spieler kamen als Amateure aus dem Deutschland der Nachkriegszeit in dieses Paradies nach Spiez. Dadurch haben sie sich dem Trainer und dem Land noch mehr verpflichtet gefühlt.

Der Garten im Hotel Belvedere in Spiez.

Station 2: Der Garten

Das Hotel Belvédère in Spiez am Thunersee schien für die deutsche Mannschaft ideal. Es war sehr ruhig und hatte einen großen Garten mit Liegestühlen. Umliegend die beeindruckenden Berge, bis zu 4000 Meter hoch und vom ewigen Eis bedeckt. Und zu den Füssen lag der blau-grün schimmernde Thunersee. So oft sie Lust hatten, konnten die Spieler ab dem Privatstrand Bootsfahrten unternehmen. In dieser Idylle fern der grauen Heimat war es für den Trainer Herberger ein Leichtes, seine Männer in Stimmung zu halten. Er wollte sie hier bei diesen idealen Verhältnissen zu einer Einheit schweißen, zu einer Mannschaft formen, die keinen Gegner zu fürchten brauchte.

Die guten Geister von Spiez.

Station 3: Der Geist von Spiez 

Als Ottmar Hitzfeld einmal gefragt wurde, ob er den Geist von Spiez kenne, antwortete dieser leicht verwundert: „Natürlich kenne ich den. Jeder deutsche Fußballfan kennt ihn.“ Doch was hat es nun wirklich mit diesem Geist auf sich? Sepp Herberger schätzte die Stille dieser Seepromenade, zu der man vom Park des Hotels direkten Zugang hat. „Wie oft bin ich diesen Weg gegangen. Oft allein, mit meinen Gedanken. Oft aber auch in Begleitung, die ich mir aus bestimmten Gründen extra ausgesucht hatte. Es gab ja so manches zu erklären und zu entscheiden in jenen Tagen. Hier war jeder einmal bei mir – allein, in Paaren oder in Gruppen. Hier wurde die Taktik vermittelt, Aufstellungen begründet und um Verständnis gesucht, wenn meine Entscheidungen nicht nach den Wünschen des Spielers war.“ Hier, in der inspirierenden Ruhe am Seeufer, schuf Herberger den großen Teamgeist. Die Kameradschaft, die sich der Trainer immer gewünscht und in den Vordergrund seiner Bemühungen gestellt hatte, ergriff seine Spieler. Die Atmosphäre des Ortes, eben der Geist von Spiez, ergriff die Herzen der Spieler. Dieser außerordentliche Teamgeist verhalf seiner Mannschaft zum sensationellen Weltmeistertitel. Und der Geist von Spiez ging als entscheidender Erfolgsfaktor in die Fußballgeschichte ein.

Der Thunersee lädt zum Bootfahren ein.

Station 4: Heimliche Bootsausfahrten

Die Spieler hatten nur wenig Freizeit. Das waren damals ganz junge Spieler, 22, 23 und 24 Jahre alt, die meisten wenigstens. Und sie hatten schon einmal andere Sachen als Training im Sinn. Das ist man mit dem Boot rausgefahren und hat eine Zigarette geraucht, natürlich soweit in die Seemitte, dass sie niemand sehen konnte.   Und das Beste: Auf der anderen Seite vom See waren einige Spielerfrauen untergebracht. Und die Legende erzählt, dass das Boot auch ein paar Mal bis zur anderen Seite gerudert ist. Kein Schelm, wer denkt, dass diese Ausflüge auch zur guten Stimmung beigetragen haben.

Fritz Walter war ein Schlüsselspieler des Teams.

 Station 5: Kapitän Fritz Walter

Er war ein genialer Spielmacher, ein begnadeter Techniker und ein großer Stratege.  

Während seiner ganzen Vereinskarriere spielte er an seinem Geburtsort für seinen 1. FC Kaiserslautern. In fast 400 Spielen schoss er 327 Tore. Und dies, obwohl er eigentlich ein Mittelfeldspieler war. Walter war aber auch hochgradig sensibel, und gestand einmal: „Jahrelang war ich vor jedem Spiel so aufgeregt, dass mir schlecht wurde. Ich saß dann oft bis kurz vor Anpfiff auf der Toilette.“ Herberger war bei ihm mehr Psychologe als Trainer. Nach schlechten Spielen war Walter tagelang für niemanden zu sprechen. Zu Herberger meinte Walter: „Er war wie ein Vater, hat jeden gut behandelt und immer gefragt wie es zuhause geht… auf dem Feld hat jeder seiner Spieler gedacht, er sei Herbergers Schlüsselfigur.”  Fritz Walter ist einer der größten Fußballer der Geschichte, nach ihm ist auch das Fritz-Walter-Wetter benannt.

Die Stollenschuhe waren ein Erfolgsfaktor im Finale.

Station 6: Die Stollenschuhe

Am Finaltag regnete es in Bern. Die technisch starken Ungarn bevorzugten das Kurzpassspiel, hatten aber auf dem zunehmend regendurchtränkten Spielfeld immer mehr Schwierigkeiten. Deutschland hingegen blühte auf tiefem Boden regelrecht auf und demonstrierte seine Kämpferqualitäten. Vor allen Dingen der Kapitän der Mannschaft, Fritz Walter, fühlte sich bei Regenwetter pudelwohl. Er konnte seine Technik auf schwierigen Plätzen besonders gut einsetzen. Auch weil er früher an Malaria litt und bei Hitze Mühe hatte. Seine Teamkollegen nannten die Witterung am Finaltag „Fritz-Walter-Wetter“. Noch heute wird dieser Begriff in Fußballdeutschland rege benutzt. Entscheidend mitgeholfen hat auch der deutsche Materialwart, ein gewisser Adi Dassler. Dieser stellte in der wirtschaftlich schwierigen Nachkriegszeit Fußballschuhe her. Er entwickelte das System der Schraubstollen, das es ermöglichte, das Schuhwerk dem Terrain anzupassen. Noch in der Halbzeit des Finales wechselte er aufgrund des zunehmenden Regens die Stollen und sicherte somit den deutschen Spielern die Standfestigkeit, die entscheidend zum Sieg beitrug. Die Ungarn, mit ihren aufgeweichten und schwer gewordenen Schuhen wurden überlistet. Der Gewinn der Weltmeisterschaft war für Adi Dassler zugleich der Durchbruch. Vor allem aber war es die Geburt eines deutschen Weltkonzerns: Von Adidas, dem Sportartikelhersteller mit den berühmten drei Streifen. Seine Firma stattete wenig später bereits die ganze Fußballwelt mit Stollenschuhen und bald auch Trikots aus. Heute ist Adidas nach Nike der zweitgrößte Sportartikelkonzern der Welt.

Helmut Rahn war sensibler als viele dachten.

Station 7: Helmut Rahn

Er war der Mann, der Deutschland zum Weltmeister machte. Der Siegtorschütze in der 84. Minute. Eigentlich bevorzugte Trainer Herberger Teamplayer. Ungehorsame Spieler wurden aus der Mannschaft entfernt. Dennoch sah er in Helmuts jugendlicher Sorglosigkeit und Risikobereitschaft eine Qualität, obwohl es Rahn an Disziplin mangelte. Die Rechnung des Trainers ging auf. Rahns Tor ging in die Geschichte ein. Legendär ist auch der Kommentar: „… Kopfball – abgewehrt – aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt! – Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!“ Wegen seinen Fähigkeiten als Anführer trug er den Spitznamen „der Boss“.  Als Frohnatur und Spaßvogel brachte er frischen Wind in die Mannschaft.

„Als Spieler war er absolute Weltklasse, als Mensch war er allein durch seinen unerschütterlichen Optimismus unverzichtbar“, sagte Fritz Walter über seinen Team- und Zimmerkollegen. Mit dem Ruhm aber kam der einstige Star-Stürmer und sensible Mensch immer weniger klar. Er zog sich zurück und scheute die Öffentlichkeit. Nach seiner Fußballzeit betrieb er mit einem Bruder einen Autohandel und arbeitete später in einer Entsorgungsfirma für Bauschutt.

Kevin Dissauer von Interlaken Tourismus und Hotewldirektor Bruno Affentranger kümmern sich um das Erbe des Wunders von Bern.

Station 8: Taktik und Spielweise

Bereits im zweiten Gruppenspiel traf Deutschland auf den späteren Finalgegner Ungarn. Gleich mehreren wichtigen Spielern gönnte der Trainer eine Pause – ausgerechnet gegen den Turnierfavorit. Die Kritik war groß. Deutschland kam mit 3:8 unter die Räder. Herberger wollte aber seine besten Männer für das folgende Entscheidungsspiel schonen, dass sie dann prompt gegen die Türkei mit 7:2 gewannen. Vor dem Halbfinale gegen Österreich notierte sich Herberger: „Angriffswirbel, ständiger Positionswechsel, keiner ist an seinen Platz gebunden, aber jede Position ist besetzt.“  Das Ziel: unberechenbar sein und den Gegner mit einer Überfalltaktik verwirren. Die Spielweise von Herbergers Team an der WM 1954 war revolutionär.  Er wollte viel Spielfreude, und immer „elf Mann im Angriff, elf Mann in der Abwehr.“  Das waren alles Ideen wie aus dem heutigen modernen Fußball. Herbergers detailreiche Planungen gingen auf, und seine taktischen Entscheidungen hatten sich als richtig erwiesen. Er zog selbst für die WM folgendes Fazit: „Als wir in die Schweiz fuhren, war keine Nation in besserer Verfassung und keine Mannschaft auf die bevorstehenden Aufgaben besser eingestellt als die unsrige.“

Sepp Herberger war ein Visionär, seine Ideen sind noch heute modern.

Station 9: Trainer Sepp Herberger

Herberger war Bundestrainer während 27 Jahren. Dies ist nur die Fußnote in einer Vita, die einmalig gewesen ist. Josef „Seppl“ Herberger,  wurde zur Legende, zu einer der schillerndsten Figuren des deutschen Fußballs, zum Hexenmeister und Trainer-Guru. Wie schaffte er es mit einer anfänglichen Amateur-Mannschaft einen Weltmeistertitel zu gewinnen? Herberger war eine facettenreiche, charismatische Persönlichkeit.   Er war charmant und schroff, nachsichtig und unerbittlich, väterlicher Freund und strenger Patron. Er sorgte sich um seine Spieler, als wären sie die eigenen Kinder. Neben Herbergers Wissen über Fußball war er auch ein begnadeter Psychologe. Zu Hause besaß er eine Bibliothek mit 1500 Büchern. Von ihm stammen auch berühmte sogenannte Fußballweisheiten. „Der Ball ist rund“, „Ein Spiel dauert 90 Minuten“, „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ – Aussagen, die heute jeder Fußballer verwendet. Mit einem immensen Fußballwissen kombiniert mit Weisheit und Psychologie hat er das Wunder geschafft: die deutsche Mannschaft vom Nullpunkt zum Weltmeister zu führen.  Es machte ihn zu einem Volkshelden in der noch jungen deutschen Republik.

Glücklich, wer ein Finalticket in der Hand hielt.

Station 10: Das WM-Finale 1954

Es regnete in Strömen an jenem 4. Juli. Perfektes Fritz-Walter-Wetter. Der krasse Außenseiter Deutschland besiegte das scheinbar übermächtige Ungarn mit 3:2 und feierte den ersten von bis heute vier WM-Titeln. Ungarn mit Weltstar Ferenc Puskas verlor erstmals nach 31 Spielen und 4 Jahren ausgerechnet das WM-Finale. Das Spiel begann wie ein Feuerwerk: Bereits nach 10 Minuten stand es 2:0 für Ungarn. Bis zur 18. Minute glichen Max Morlock und Helmut Rahn schon zum 2:2 aus. Anschließend wog das Spiel lange hin und her. Die Ungarn drängten, trafen die Latte und den Pfosten, die Deutschen stemmten sich dagegen. Deutschlands Torwart Toni Turek gelang ein fantastisches Spiel. Den Siegtreffer schoss Helmut Rahn in der berühmten 84. Minute. Zwei Minuten später traf Puskas zum vermeintlichen Ausgleich. Doch angeblich war es Abseits. So genau weiss das bis heute niemand.

Kurz darauf war Schluss mit dem legendären Kommentar: „Aus, aus, aus, aus! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister.“

In Spiez wird das Wunder von Bern und der Geist von Spiez lebendig gehalten.

Station 11: Nachspielzeit

Die Weltmeister von Bern wurden in der Heimat verehrt. Allen voran Kapitän Walter, Siegtorschütze Rahn und Trainer Herberger erlangten Kultstatus. Für den WM-Titel gab es für jeden Spieler 1000 Mark und Spielprämien sowie Sachspenden wie Motorroller, Fernsehgeräte und Polstergarnituren. Nach der WM entstand in Deutschland ein kollektives „Wir-Gefühl“. Auch oft zu hören: „Wir sind wieder wer“. Für viele Menschen wurde der Triumph zum Symbol des Aufbruchs nach dem 2. Weltkrieg. Mit dem Ruhm kamen aber nicht alle Spieler gut zu recht. Einzelne hatten später Alkoholprobleme. Viele starben relativ früh an verschiedenen Krankheiten. Der einzige Held von Bern, der noch lebt, ist Horst Eckel. Im April 2019 reiste er mit 88 Jahren nochmals nach Spiez und nahm an einer Zeremonie teil.

Wer sich auf die Spuren des Wunders von Bern begibt und den Geist von Spiez erleben will, bekommt hier alle wichtigen Informationen:

Schweiz Tourismus, www.myswitzerland.com

Spiez Marketing und Tourismus, www.spiez.com

Interlaken Tourismus, www.interlakentourism.ch

Belvédère Strandhotel, www.belvedere-spiez.ch/de/

 

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